Abbitte by McEwan Ian

Abbitte by McEwan Ian

Autor:McEwan, Ian [McEwan, Ian]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-11-21T05:00:00+00:00


Es gab keine Platanen mehr, die Deckung geboten hätten. Schattenlos und Überfällen schutzlos ausgeliefert, wand sich die Straße in langen, flachen S-Kurven durch das wellige Gelände. Er hatte kostbare Reserven mit unnötigem Geschwätz und überflüssigen Begegnungen vergeudet. Müdigkeit hatte ihn in oberflächliche Hochstimmung versetzt und unnötig mitteilsam gemacht. Jetzt beschränkte er seine Energie auf den Rhythmus seiner Stiefel – ich geh durchs Land, so rasch ich kann, bis ans weite Meer. All das, was ihn aufhielt, mußte, und wenn es noch so geringfügig war, von dem überboten werden, was ihn vorantrieb. In der einen Waagschale seine Wunde, der Durst, die Blase, Müdigkeit, Hitze, schmerzende Füße und Beine, Stukas, die vielen Kilometer, der Ärmelkanal, in der anderen Ich warte auf Dich und die Erinnerung an den Augenblick, in dem sie es gesagt hatte, der für ihn inzwischen gleichsam heilig geworden war. Dann noch die Angst davor, gefangengenommen zu werden. Seine sinnlichsten Erinnerungen – die wenigen Minuten in der Bibliothek, der Kuß an der Haltestelle – waren durch zu häufigen Gebrauch ausgebleicht. Bestimmte Abschnitte aus ihren Briefen kannte er auswendig, zum Brunnen, an dem sie sich wegen der Vase gestritten hatten, war er oft zurückgekehrt, und er hatte nicht vergessen, wie warm ihr Arm bei dem Abendessen gewesen war, an dem die Zwillinge verschwanden. Diese Erinnerungen gaben ihm Kraft, wenn auch nicht mehr so leichthin wie früher. Allzuoft mußte er daran denken, wo er sie zuletzt heraufbeschworen hatte. Sie lagen auf der anderen Seite einer großen Zeitenteilung, die ebenso bedeutsam wie v. Chr. und n. Chr. war. Vor dem Gefängnis, vor dem Krieg, vor den Tagen, in denen der Anblick einer Leiche zur Banalität verkommen war.

Doch diese Ketzereien verstummten, sobald er ihren letzten Brief gelesen hatte. Turner faßte nach seiner Brusttasche, fühlte nach dem Brief. Fast eine Art Bekreuzigung. Noch da. Dieser Brief war etwas Neues auf den Waagschalen. Der Gedanke, seine Unschuld könnte bewiesen werden, schien von der gleichen schlichten Größe wie die Liebe selbst. Allein der Vorgeschmack darauf machte ihm bewußt, wieviel verkümmert und abgestorben war. Seine Lust am Leben, nichts Geringeres, all die alten Ziele und Sehnsüchte. Jetzt bestand Hoffnung auf Wiedergeburt, auf eine triumphale Rückkehr. Er konnte wieder zu jenem Mann werden, der in der Abenddämmerung im besten Anzug durch einen Park in Surrey gegangen war, erhobenen Hauptes der Zukunft entgegen, der das Haus betreten und Cecilia geliebt hatte - nein, er wollte das Wort vor den Unteroffizieren retten, sie hatten gevögelt, während andere auf der Terrasse an ihren Cocktails nippten. Die Geschichte konnte weitergehen, jene, an die er an dem abendlichen Spaziergang gedacht hatte. Sie würden nicht mehr isoliert sein, er und Cecilia. Ihre Liebe würde den nötigen Raum und einen Platz in der Gesellschaft erhalten. Und er würde nicht mit der Mütze in der Hand um Verständnis von Freunden betteln, die ihn gemieden hatten. Er würde sich auch nicht zurücklehnen, grimmig und stolz, und sie nun seinerseits meiden. Er wußte genau, was er wollte. Er würde einfach weitermachen. Sobald seine Unschuld bewiesen war, konnte er sich



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